Veröffentlicht am April 18, 2024

Zusammenfassend:

  • Digitalisierung ist kein IT-Projekt, sondern eine strategische Investitionsentscheidung, die mit einem klaren Fahrplan beginnt.
  • Vermeiden Sie teure Insellösungen, indem Sie von Anfang an auf integrierte Systeme setzen, die mit Ihrem Unternehmen wachsen.
  • Nutzen Sie staatliche Förderprogramme wie „Digital Jetzt“ gezielt, um das finanzielle Risiko zu minimieren und Investitionen zu hebeln.
  • Beginnen Sie mit Prozessen, die den schnellsten und höchsten Nutzen versprechen, statt sich in komplexen Großprojekten zu verlieren.

Sie spüren es jeden Tag: Der Druck zur Digitalisierung wächst. Kunden erwarten schnellere Reaktionen, der Wettbewerb ist nur einen Klick entfernt und Ihre internen Prozesse fühlen sich an, als würden sie noch mit Fax und Aktenordnern laufen. Als Geschäftsführer eines etablierten mittelständischen Unternehmens ohne eigene IT-Abteilung stehen Sie vor einer gewaltigen Herausforderung. Sie wissen, dass Sie handeln müssen, sind aber von der schieren Komplexität, den technischen Fachbegriffen und der Angst vor teuren Fehlinvestitionen wie gelähmt. Überall hören Sie Ratschläge wie „Sie müssen agil werden“ oder „Nutzen Sie künstliche Intelligenz“, doch niemand erklärt Ihnen, wie das in Ihrer Realität mit 10, 20 oder 50 Mitarbeitern konkret und budgetschonend funktionieren soll.

Doch was wäre, wenn der Schlüssel zur erfolgreichen Digitalisierung gar nicht in der neuesten Technologie liegt? Was, wenn es nicht darum geht, alles auf einmal zu revolutionieren, sondern darum, Digitalisierung als eine Reihe von kalkulierten, strategischen Investitionsentscheidungen zu betrachten? Dieser Ansatz verlagert den Fokus weg von der Technik und hin zur Prozess-Rentabilität. Es geht darum, einen pragmatischen, schrittweisen Weg zu finden, der Ihr Unternehmen sicher in die Zukunft führt, ohne Ihr Budget zu sprengen oder Ihre Mannschaft zu überfordern. In diesem Artikel entwickeln wir gemeinsam genau solch einen Fahrplan. Wir zeigen Ihnen, wie Sie Prioritäten setzen, typische Kostenfallen umgehen und staatliche Förderungen als strategischen Hebel nutzen, um die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens nachhaltig zu sichern.

Dieser Leitfaden ist Ihr praktischer Wegweiser durch den Digitalisierungsdschungel. Wir beleuchten die realen Risiken, aber vor allem die konkreten Chancen und zeigen Ihnen Schritt für Schritt, wie Sie eine fundierte Strategie für Ihr Unternehmen aufbauen.

Warum gefährdet fehlende Digitalisierung die Existenz von 50% der KMU?

Die Frage ist nicht mehr, ob die Digitalisierung kommt, sondern wie hart sie diejenigen trifft, die passiv bleiben. Für viele deutsche kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist die digitale Transformation keine Option mehr, sondern eine Frage des Überlebens. Die Märkte verändern sich radikal: Kundenprozesse, von der Anfrage bis zur Rechnungsstellung, werden digital abgewickelt. Wer hier nicht mithalten kann, verliert nicht nur an Effizienz, sondern wird für potenzielle Kunden und Partner schlicht unsichtbar. Lieferketten sind heute digitale Netzwerke. Ein Unternehmen, das nicht in der Lage ist, sich nahtlos in diese Systeme zu integrieren, riskiert, von wichtigen Zulieferern oder Großkunden abgekoppelt zu werden.

Das größte Risiko liegt jedoch im schleichenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Während Sie noch mit manueller Dateneingabe, Excel-Listen und Papierakten kämpfen, optimiert Ihr Konkurrent bereits seine Lagerhaltung per Software, personalisiert sein Marketing durch CRM-Daten und trifft strategische Entscheidungen auf Basis von Echtzeitanalysen. Dieser Effizienzvorsprung ermöglicht es ihm, bessere Preise anzubieten, schneller zu liefern und flexibler auf Kundenwünsche zu reagieren. Auf lange Sicht ist es ein Kampf, den ein analoges Unternehmen nicht gewinnen kann. Die Gefahr ist real, denn es geht nicht um ein einzelnes Defizit, sondern um eine Abwärtsspirale aus Ineffizienz, steigenden Kosten und schwindender Marktrelevanz.

Die Untätigkeit wird zu einer stillen Bedrohung, die das Fundament vieler traditioneller Geschäftsmodelle langsam, aber sicher erodiert, bis es plötzlich zu spät ist.

Warum überschätzen 8 von 10 Managern die Geschwindigkeit der Disruption?

Es herrscht eine paradoxe Situation in vielen deutschen Chefetagen: Das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Digitalisierung ist hoch, doch die konsequente Umsetzung bleibt oft aus. Man fühlt den Druck, erkennt die ersten Nachteile, aber die wahre Geschwindigkeit, mit der die Disruption das eigene Geschäftsmodell bedroht, wird systematisch unterschätzt. Dies ist kein Zeichen von Ignoranz, sondern ein psychologisches Phänomen. Manager sind es gewohnt, in linearen Bahnen zu denken, während die digitale Veränderung exponentiell verläuft. Man sieht, dass sich etwas bewegt, aber man kann sich kaum vorstellen, wie schnell die Kurve ansteigen wird.

Eine aktuelle Studie untermauert diese kognitive Dissonanz eindrucksvoll. Wie die Maximal Digital Studie zeigt, sehen zwar 82% der befragten Unternehmen die digitale Transformation als überlebenswichtig an, doch die gefühlte Dringlichkeit führt nicht immer zu sofortigem Handeln. Besonders alarmierend ist die Aussage, die in der gleichen Erhebung getroffen wurde:

76% geben an, dass sie durch mangelnde Digitalisierung bereits Wettbewerbsnachteile erlitten haben.

– Digitalisierungsstudie 2024, Maximal Digital Studie

Man spürt den Schmerz, aber schätzt die Geschwindigkeit des aufziehenden Sturms falsch ein. Dieses Zögern resultiert oft aus der Überforderung durch die Komplexität und der Angst, die falsche teure Entscheidung zu treffen. Man wartet auf den „perfekten“ Moment oder die „perfekte“ Lösung und verliert dabei wertvolle Zeit, während der Wettbewerb Fakten schafft. Die größte Gefahr ist nicht der plötzliche Crash, sondern der langsame, fast unmerkliche Bedeutungsverlust.

Der entscheidende Fehler ist nicht, die Veränderung nicht zu sehen, sondern ihre exponentielle Dynamik zu unterschätzen und zu glauben, man hätte noch unendlich viel Zeit zum Reagieren.

Wie entwickeln Sie einen realistischen 3-Jahres-Digitalisierungs-Fahrplan?

Die Antwort auf die digitale Überforderung ist nicht, blind in teure Software zu investieren, sondern einen Schritt zurückzutreten und eine Strategie zu entwickeln. Ein realistischer 3-Jahres-Digitalisierungs-Fahrplan ist Ihr wichtigstes Werkzeug. Er zwingt Sie, Prioritäten zu setzen, Ressourcen sinnvoll zu planen und messbare Ziele zu definieren. Er ist Ihre Landkarte, die sicherstellt, dass Sie sich nicht verzetteln und jeder investierte Euro auf Ihre übergeordneten Unternehmensziele einzahlt. Vergessen Sie den Gedanken, alles auf einmal tun zu müssen. Der Fokus liegt auf schrittweisen, logisch aufeinander aufbauenden Maßnahmen.

Ein solcher Fahrplan gliedert sich typischerweise in drei Phasen, die sich über die Jahre verteilen. Er definiert, welche Prozesse zuerst angegangen werden, welche Technologien dafür benötigt werden und welche Kompetenzen im Team aufgebaut werden müssen.

Visualisierung eines strukturierten 3-Jahres-Digitalisierungsfahrplans für KMU

Wie die Visualisierung zeigt, geht es um einen strukturierten Prozess, nicht um zufällige Aktionen. Die grundlegende Vorgehensweise lässt sich in vier Kernschritte unterteilen:

  1. Analyse der aktuellen Situation: Wo stehen Sie wirklich? Dokumentieren Sie schonungslos Ihre aktuellen Prozesse. Wo gibt es Medienbrüche (z.B. Daten werden von einer E-Mail manuell in eine Excel-Liste übertragen)? Wo verlieren Ihre Mitarbeiter die meiste Zeit durch repetitive Aufgaben? Wo sind die größten Schmerzpunkte für Ihre Kunden?
  2. Entwicklung einer digitalen Strategie: Leiten Sie aus der Analyse klare Ziele ab. Wollen Sie die Kundenzufriedenheit um 20% steigern? Die Durchlaufzeit für Angebote halbieren? Die Lagerkosten um 15% senken? Erst wenn das „Was“ klar ist, können Sie über das „Wie“ (die Technologie) nachdenken.
  3. Mit Teilbereichen beginnen: Starten Sie dort, wo der Hebel am größten ist (Kosten-Nutzen-Rechnung). Oft sind das Bereiche wie die digitale Buchhaltung (z.B. durch DATEV Unternehmen online) oder die Kundenkommunikation (ein einfaches CRM-System). Testen Sie neue Software in kleinen Pilotprojekten mit ein oder zwei Mitarbeitern, bevor Sie sie für das ganze Unternehmen ausrollen.
  4. Kontinuierliche Optimierung: Ein Fahrplan ist nicht in Stein gemeißelt. Überprüfen Sie jährlich Ihre Ziele und passen Sie die Route an neue technologische Möglichkeiten oder veränderte Marktbedingungen an. Digitalisierung ist ein Marathon, kein Sprint.

Dieser strategische Ansatz schützt Sie vor teuren Impulskäufen und stellt sicher, dass Ihre Digitalisierung vom ersten Tag an auf einem soliden Fundament steht.

Cloud oder On-Premise: Was ist für deutsche KMU sicherer?

Eine der ersten grundlegenden Entscheidungen in Ihrem Digitalisierungs-Fahrplan betrifft die Infrastruktur: Sollen Ihre Daten und Anwendungen in der Cloud bei einem externen Anbieter liegen oder auf eigenen Servern (On-Premise) in Ihrem Unternehmen? Für viele KMU ohne dedizierte IT-Abteilung ist diese Frage mit großen Sicherheitsbedenken verbunden. Die Vorstellung, sensible Unternehmensdaten „irgendwo im Internet“ zu lagern, löst Unbehagen aus. Doch diese Wahrnehmung ist oft trügerisch. Der Trend im deutschen Mittelstand ist eindeutig: Laut Cloud Monitor 2019 setzten bereits damals 73 Prozent der deutschen Unternehmen auf Cloud-Technologie, und diese Zahl ist seither weiter gestiegen.

Für ein KMU ohne IT-Spezialisten ist es in der Praxis kaum möglich, ein Sicherheitsniveau zu erreichen, das mit dem eines professionellen Rechenzentrums mithalten kann. Anbieter von Cloud-Lösungen investieren Millionen in Firewalls, Verschlüsselung, Zutrittskontrollen und die ständige Aktualisierung ihrer Systeme gegen Cyberangriffe. Ein eigener Server im Keller ist oft anfälliger für physische Risiken (Feuer, Wasser) und Cyber-Bedrohungen, wenn die Wartung vernachlässigt wird. Wichtig ist die Wahl des Anbieters: Ein Rechenzentrum mit Standort in der EU unterliegt den strengen Regeln der DSGVO und bietet damit eine hohe rechtliche Sicherheit. Die folgende Gegenüberstellung fasst die wichtigsten Aspekte zusammen, wie eine aktuelle vergleichende Analyse zeigt.

Cloud vs. On-Premise: Eine Entscheidungshilfe für KMU
Aspekt Cloud-Lösung On-Premise
IT-Ressourcen Keine eigene Hardware nötig Eigene Server erforderlich
Skalierbarkeit Flexibel anpassbar Begrenzt durch Hardware
Wartung Durch Anbieter Eigenes IT-Team nötig
Datenschutz DSGVO-konform bei EU-Servern Volle Kontrolle
Kosten Monatliche Gebühren Hohe Anfangsinvestition

Für die meisten KMU ohne IT-Abteilung überwiegen die Vorteile der Cloud in Bezug auf Kosten, Flexibilität und oft auch Sicherheit deutlich. Die monatlichen, planbaren Kosten sind einer hohen Anfangsinvestition vorzuziehen und schonen die Liquidität.

Der Digitalisierungs-Fehler, der KMU 80.000 € an Doppelsystemen kostet

Einer der kostspieligsten und häufigsten Fehler bei der Digitalisierung in KMU ist die Schaffung von sogenannten Insellösungen. Das passiert, wenn verschiedene Abteilungen unkoordiniert Software für ihre spezifischen Bedürfnisse einführen: Die Buchhaltung nutzt Tool A, der Vertrieb Tool B für das Kundenmanagement und die Produktion plant mit Tool C. Jede dieser Lösungen mag für sich genommen gut sein, aber sie sprechen nicht miteinander. Die Folge ist ein digitales Chaos: Daten müssen manuell von einem System ins andere übertragen werden, was fehleranfällig ist und enorm viel Zeit kostet. Es entstehen redundante Datenbestände und niemand hat mehr einen ganzheitlichen Überblick über das Unternehmen.

Diese fehlende Integration führt zu massiven Effizienzverlusten und versteckten Kosten. Der im Titel genannte Betrag von 80.000 € ist keine Übertreibung, wenn man die Lohnkosten für manuelle Datenpflege, die Kosten für die Behebung von Fehlern und die Lizenzgebühren für mehrere, sich überschneidende Systeme über einige Jahre zusammenrechnet. Man zahlt doppelt und dreifach – für die Software selbst und für die manuelle Arbeit, die die fehlenden Schnittstellen überbrücken muss.

Visualisierung typischer Integrationsfehler bei der KMU-Digitalisierung

Die Lösung liegt in einer strategischen Herangehensweise, die von Anfang an auf Integration setzt. Anstatt Insellösungen zu schaffen, sollten Sie auf eine zentrale Plattform setzen, die mit Ihrem Unternehmen wachsen kann. Ein modernes ERP-System (Enterprise Resource Planning) aus der Cloud ist oft die beste Wahl. Ein gutes Beispiel ist die GMT Europe GmbH, die vor der Herausforderung stand, dass ihre getrennten Softwarepakete für Warenwirtschaft und CRM dem wachsenden Auftragsvolumen nicht mehr gewachsen waren. Statt weitere Insellösungen hinzuzufügen, entschieden sie sich für eine integrierte Cloud-Lösung (Microsoft Dynamics 365), die alle Prozesse in einem System bündelt – ohne dass dafür ein großes IT-Team nötig war.

Die Investition in eine integrierte Plattform mag anfangs höher erscheinen als der Kauf mehrerer kleiner Tools, aber sie ist die wirtschaftlich mit Abstand klügere Entscheidung, die Sie vor enormen Folgekosten bewahrt.

Wie nutzen Sie Förderprogramme für KMU-Digitalisierung optimal?

Die Angst vor hohen Investitionskosten ist eine der größten Hürden für die Digitalisierung im Mittelstand. Doch was viele Geschäftsführer nicht wissen: Der deutsche Staat unterstützt Sie massiv bei diesem Vorhaben. Es gibt eine Vielzahl von Förderprogrammen, die speziell auf die Bedürfnisse von KMU zugeschnitten sind. Diese Programme sind kein Almosen, sondern ein strategischer Hebel (Fördermittel-Hebel), um Ihre Investitionskosten erheblich zu senken und das finanzielle Risiko zu minimieren. Dennoch ist die Nutzung erschreckend gering: Laut einer Studie zur Digitalisierungsförderung nehmen nur etwa 18 Prozent der mittelständischen Unternehmen diese wertvolle Unterstützung in Anspruch. Sie lassen bares Geld auf der Straße liegen.

Die beiden wichtigsten Programme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sind „go-digital“ und „Digital Jetzt“. Der Trick besteht darin, sie in der richtigen Reihenfolge und kombiniert zu nutzen. „go-digital“ finanziert die Beratungsleistung, also die Erstellung Ihres Digitalisierungs-Fahrplans. „Digital Jetzt“ bezuschusst anschließend die konkrete Umsetzung, also den Kauf von Hard- und Software sowie die Schulung Ihrer Mitarbeiter. Es ist essenziell, erst den Plan (gefördert durch „go-digital“) zu haben und dann die Investitionsförderung („Digital Jetzt“) zu beantragen.

Ihr Fahrplan zur optimalen Fördermittel-Nutzung

  1. Beratung fördern lassen: Nutzen Sie das Programm „go-digital“, um sich von einem autorisierten Beratungsunternehmen Ihren individuellen Digitalisierungs-Fahrplan erstellen zu lassen. Bis zu 50% der Beratungskosten werden übernommen.
  2. Investitionen beantragen: Mit dem fertigen Fahrplan in der Hand beantragen Sie Zuschüsse aus dem Programm „Digital Jetzt“. Hier werden Investitionen in Hard- und Software sowie die Qualifizierung Ihrer Mitarbeiter gefördert.
  3. Fokus auf Vernetzung legen: Nutzen Sie insbesondere Fördermodul 1 für digitale Technologien, das auf die interne und externe Vernetzung Ihres Unternehmens abzielt. Dazu gehören Investitionen in Cloud-Anwendungen, IT-Sicherheit und datengetriebene Geschäftsmodelle.
  4. Zusätzliche Boni prüfen: Sichern Sie sich zusätzliche Förderquoten. So gibt es laut den offiziellen FAQ zu „Digital Jetzt“ beispielsweise 5% extra für Investitionen in IT-Sicherheit und Datenschutz.
  5. Regionale Programme nicht vergessen: Prüfen Sie zusätzlich die Förderdatenbanken Ihres Bundeslandes. Oft gibt es regionale Programme, die mit den Bundesprogrammen kombinierbar sind.

Indem Sie diese staatliche Unterstützung gezielt nutzen, können Sie oft die doppelte oder dreifache Wirkung mit demselben Eigenkapitaleinsatz erzielen und so Ihre Digitalisierung deutlich beschleunigen.

Warum ist manuelle Textilproduktion in Deutschland wirtschaftlich nicht mehr tragfähig?

Um die Dringlichkeit und die Lösungsansätze der Digitalisierung greifbar zu machen, werfen wir einen Blick auf eine Branche, die wie kaum eine andere unter dem globalen Wettbewerbsdruck steht: die deutsche Textilindustrie. Sie dient uns als perfekte Praxis-Blaupause, um die Herausforderungen und Chancen zu verstehen, die auch in vielen anderen traditionellen Sektoren lauern. Jahrzehntelang war die manuelle Textilproduktion in Deutschland ein Garant für Qualität, doch im Zeitalter der Globalisierung ist dieses Modell an seine wirtschaftlichen Grenzen gestoßen. Der Hauptgrund sind die Lohnkosten. Die manuelle Fertigung ist personalintensiv und kann preislich nicht mit der Produktion in Billiglohnländern konkurrieren.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Verlagerung der Produktion ins Ausland hat dramatische Ausmaße angenommen. Laut Umweltbundesamt importiert Deutschland heute bis zu 90 Prozent aller angebotenen Textilien. Dieser Trend hatte verheerende Folgen für den heimischen Arbeitsmarkt: Seit dem Zweiten Weltkrieg gingen in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie rund eine Million Arbeitsplätze verloren. Die wenigen verbliebenen Hersteller stehen vor einer existenziellen Frage: Wie kann man am Hochlohnstandort Deutschland überhaupt noch profitabel produzieren?

Die alleinige Konzentration auf „Made in Germany“-Qualität reicht nicht mehr aus, wenn der Preisunterschied zu groß wird. Manuelle Prozesse sind nicht nur teuer, sondern auch langsam und unflexibel. Sie können auf die steigende Nachfrage nach individualisierten Produkten und schnellen Lieferzeiten kaum reagieren. Ein Unternehmen, das Wochen für die Produktion eines maßgeschneiderten Artikels benötigt, verliert gegen einen Online-Konkurrenten, der individualisierte Ware innerhalb von Tagen liefert. Die manuelle Produktion ist somit nicht mehr nur eine Kostenfrage, sondern auch ein strategischer Nachteil in Bezug auf Geschwindigkeit und Flexibilität.

Die Textilindustrie zeigt wie unter einem Brennglas, dass die Festhalten an traditionellen, manuellen Methoden in einer globalisierten, digitalen Welt keine zukunftsfähige Strategie ist.

Das Wichtigste in Kürze

  • Strategie vor Technologie: Ein durchdachter 3-Jahres-Fahrplan ist wichtiger als die überstürzte Anschaffung von Software. Er schützt vor Fehlinvestitionen.
  • Ganzheitlich denken: Vermeiden Sie isolierte Software-Anwendungen („Insellösungen“). Setzen Sie auf integrierte Systeme, um manuelle Datenübertragung und Effizienzverluste zu eliminieren.
  • Fördermittel als Hebel: Nutzen Sie staatliche Programme wie „go-digital“ und „Digital Jetzt“ aktiv, um Ihre Investitionskosten zu senken und die Digitalisierung zu beschleunigen.

Wie überleben deutsche Textilhersteller gegen Billiglohn-Konkurrenz?

Die Antwort auf die scheinbar ausweglose Situation der deutschen Textilindustrie liegt in der konsequenten Digitalisierung und Automatisierung der Produktionsprozesse. Es geht nicht darum, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, sondern darum, durch Technologie neue Wettbewerbsvorteile zu schaffen, die über den reinen Preis hinausgehen. Der Schlüsselbegriff lautet: Losgröße 1. Dies bezeichnet die Fähigkeit, individualisierte Einzelstücke zu Kosten zu produzieren, die denen der Massenfertigung sehr nahekommen. Genau das ist der Vorteil, den ausländische Massenproduzenten nicht bieten können.

Ein herausragendes Beispiel hierfür ist der Büromöbelhersteller König + Neurath, der diesen Ansatz erfolgreich auf seine textilen Komponenten anwendet. Durch die vollständige Digitalisierung des Zuschnitts kann das Unternehmen heute hochgradig individualisierte Produkte in Losgröße 1 wirtschaftlich fertigen. Das setzt modernste digitale Produktionsmittel voraus, vom digitalen Entwurf über den automatisierten Zuschnitt bis hin zur vernetzten Logistik. Dieser Trend ist keine Nische mehr. Eine Studie zum German Industry 4.0 Index der Staufen AG ergab, dass sich bereits 40% der Unternehmen mit Industrie 4.0 wegen des Trends zur Losgröße 1 beschäftigen und 60% bereits Einzelstücke zu den Kosten der Massenproduktion fertigen können.

Neben technologiegetriebenen Pionieren wie König + Neurath gibt es auch Traditionsunternehmen wie Trigema, die durch eine kluge Kombination aus Markenaufbau, hoher Qualität und optimierten, teilweise automatisierten Prozessen seit Jahrzehnten erfolgreich „Made in Germany“ produzieren – ohne Kurzarbeit oder betriebsbedingte Kündigungen. Diese Beispiele zeigen: Es gibt einen Weg. Die Digitalisierung ermöglicht es deutschen Herstellern, ihre Stärken (Qualität, Flexibilität, Zuverlässigkeit) voll auszuspielen und sich so von der reinen Preis-Konkurrenz abzuheben.

Moderne digitalisierte Textilproduktion in Deutschland

Die Lehren aus dieser Branche sind universell. Um die eigene Position zu stärken, ist es entscheidend zu verstehen, wie Digitalisierung ganz neue Geschäftsmodelle ermöglicht und totgeglaubte Standorte wieder wettbewerbsfähig macht.

Der Weg aus der Krise führt über die intelligente Nutzung von Technologie, um das zu liefern, was Billiglohnländer nicht können: hochgradig flexible, schnelle und individualisierte Qualität. Für die Umsetzung dieses Ziels ist ein durchdachter Plan der erste und wichtigste Schritt. Beginnen Sie noch heute mit der Analyse Ihrer Prozesse, um die größten Digitalisierungspotenziale in Ihrem Unternehmen zu identifizieren.

Geschrieben von Sandra Müller, Sandra Müller ist Wirtschaftsinformatikerin und Digitalisierungsberaterin mit 15 Jahren Erfahrung in der digitalen Transformation deutscher KMU. Sie ist spezialisiert auf KI-Anwendungen, IoT-Implementierungen und No-Code-Lösungen für Unternehmen ohne eigene IT-Abteilung.