Veröffentlicht am März 11, 2024

Die Wahl des richtigen Materials ist keine Frage des Bauchgefühls mehr, sondern eine strategische Entscheidung im Risikomanagement.

  • Steigende Nachhaltigkeitsanforderungen und komplexe Gesetze (LkSG, EPR) in Deutschland erfordern Systematik.
  • Ein gewichtetes Scoring-Modell schlägt die reine Preis-Analyse und sichert Qualität sowie Marge.

Empfehlung: Bauen Sie eine datengestützte Bewertungsmatrix auf, um Kosten, Compliance und Qualität objektiv zu steuern und fundierte, profitable Entscheidungen zu treffen.

Als Einkaufsleiter oder Designer in der deutschen Modebranche stehen Sie täglich im Spannungsfeld zwischen kreativer Vision, kommerziellem Druck und steigenden Nachhaltigkeitsanforderungen. Die Entscheidung für ein Material ist längst nicht mehr nur eine Frage der Ästhetik oder des Preises. Sie ist zu einem kritischen Knotenpunkt geworden, an dem über Margen, Markenreputation und die Einhaltung komplexer gesetzlicher Vorgaben entschieden wird.

Viele Teams verlassen sich auf bewährte Lieferanten oder einfache Preis-Qualitäts-Vergleiche. Doch in einem Markt, der von Gesetzen wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) geprägt ist, reicht dieser Ansatz nicht mehr aus. Die Gefahr, durch einen einzigen Materialfehler eine ganze Charge zu verlieren oder Reputationsschaden zu erleiden, war noch nie so groß. Es stellt sich also die Frage: Wie kann man diesen Prozess professionalisieren?

Die wahre Lösung liegt nicht darin, Nachhaltigkeit gegen Kosten auszuspielen, sondern darin, die Materialauswahl als ein strategisches Risikomanagement-Framework zu begreifen. Es geht darum, einen systematischen, datengestützten Prozess zu etablieren, der alle relevanten Faktoren – von Lebenszykluskosten über regulatorische Compliance bis hin zu spezifischen Qualitätsrisiken für den anspruchsvollen deutschen Markt – objektiv bewertet. Dieser Ansatz verwandelt eine scheinbar subjektive Entscheidung in eine fundierte, nachvollziehbare und letztlich profitablere Geschäftsstrategie.

Dieser Artikel führt Sie durch die wesentlichen Bausteine dieses Frameworks. Wir analysieren die wahren Kosten von Nachhaltigkeit, stellen Ihnen eine Methode zur objektiven Bewertung von Materialien vor und beleuchten die entscheidenden rechtlichen und qualitativen Fallstricke, die Sie als Profi in Deutschland kennen müssen.

Warum schließen sich Nachhaltigkeit und niedrige Kosten bei Textilien meist aus?

Die Annahme, dass Nachhaltigkeit zwangsläufig zu höheren Kosten führt, ist ein zentraler Punkt in jeder Budgetplanung. Doch um strategisch zu agieren, müssen Einkäufer die pauschale Aussage „Öko ist teurer“ differenzieren. Die Mehrkosten entstehen durch eine Kette von Faktoren: Höhere Löhne in zertifizierten Betrieben, aufwendigere Anbau- oder Herstellungsverfahren und die Kosten für Audits und Zertifizierungen selbst. Es ist keine simple Preisdifferenz, sondern eine Investition in Risikominimierung und Markenwert. Eine Studie von FEMNET zur nachhaltigen Textilbeschaffung zeigt, dass je nach gefordertem Standard mit Mehrkosten von 1 % bis 25 % zu rechnen ist.

Das bedeutet jedoch nicht, dass jede nachhaltige Faser unbezahlbar ist. Die tatsächliche Preisdifferenz hängt stark vom Material und der Skalierung ab. Der deutsche Outdoor-Spezialist VAUDE kommuniziert dies transparent: PVC-freies Material für in Deutschland hergestellte Radtaschen ist bis zu 80 % teurer als konventionelles PVC. Bei Recycling-Polyester aus PET-Flaschen kalkuliert das Unternehmen hingegen mit einem Aufschlag von nur circa 10 % in der Beschaffung. Dies zeigt, dass eine differenzierte Betrachtung unerlässlich ist.

Professionelle Einkäufer verstehen diese Mehrkosten nicht als reinen Aufschlag, sondern als Investition. Ein GOTS-zertifiziertes Baumwollgewebe mag im Einkauf teurer sein, minimiert aber das Risiko von Schadstoffbelastungen, die zu Rückrufaktionen führen könnten. Die Kosten für Nachhaltigkeit sind also immer gegen die potenziellen Kosten von Nicht-Nachhaltigkeit abzuwägen: Reputationsverlust, rechtliche Konsequenzen und unverkäufliche Ware.

Der Schlüssel liegt darin, über den reinen Einkaufspreis pro Meter hinauszublicken und die „Total Cost of Ownership“ zu bewerten, die auch Risikokosten und Marketingvorteile einbezieht.

Wie bewerten Sie Materialoptionen objektiv und vergleichbar?

Um dem Dilemma zwischen Preis, Qualität und Nachhaltigkeit zu entkommen, benötigen professionelle Einkäufer ein System, das über einfache Vergleiche hinausgeht. Die Lösung ist ein gewichtetetes Scoring-Modell, das es ermöglicht, verschiedene Lieferanten und Materialien auf Basis Ihrer individuellen Markenstrategie objektiv zu bewerten. Statt Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen, schaffen Sie eine datengestützte, nachvollziehbare Grundlage. Dieses Framework zwingt Sie, Ihre Prioritäten klar zu definieren und konsequent anzuwenden.

Detaillierte Nahaufnahme verschiedener Textilproben mit Qualitätsprüfung

Der Prozess ist systematisch: Zuerst definieren Sie die für Ihre Marke entscheidenden Kriterien. Dazu gehören nicht nur der Preis, sondern auch messbare Qualitätsaspekte (z.B. Pilling-Resistenz, Farbechtheit), Lieferperformance (Lieferzeit, Zuverlässigkeit) und spezifische Nachhaltigkeitsnachweise (Zertifikate, CO2-Fußabdruck). Anschließend gewichten Sie diese Kriterien. Eine Luxusmarke mag der Qualität 60 % Gewicht beimessen, während eine auf Nachhaltigkeit fokussierte Marke diesem Kriterium vielleicht 50 % zuordnet und den Preis niedriger gewichtet.

Ihr Aktionsplan: Lieferanten-Audit mit Scoring-Modell

  1. Kriterien definieren: Listen Sie alle relevanten Bewertungskriterien auf (z.B. Preis pro Meter, Mindestbestellmenge, DIN-geprüfte Qualität, Lieferzeit, LkSG-Konformität, GOTS/Grüner Knopf Zertifizierung).
  2. Kriterien gewichten: Ordnen Sie jedem Kriterium einen Gewichtungsfaktor zu, der Ihre Markenpositionierung widerspiegelt (z.B. Nachhaltigkeit = 40 %, Qualität = 30 %, Preis = 20 %, Lieferung = 10 %). Die Summe muss 100 % ergeben.
  3. Leistung bewerten: Vergeben Sie für jeden potenziellen Lieferanten und jedes Material Punkte auf einer Skala von 1 bis 10 für jedes einzelne Kriterium.
  4. Gesamt-Score berechnen: Multiplizieren Sie die vergebene Punktzahl für jedes Kriterium mit dessen Gewichtungsfaktor. Die Summe dieser Ergebnisse ergibt den Gesamt-Score für den Lieferanten.
  5. Ranking erstellen: Erstellen Sie auf Basis der Gesamtpunktzahl ein klares Ranking. Dies ist Ihre objektive Entscheidungsgrundlage, die auch intern leicht zu kommunizieren ist.

Diese Methode transformiert die Materialauswahl von einer reinen Kostenfrage zu einer strategischen Übung, die direkt auf Ihre Unternehmensziele einzahlt und Ihre Entscheidungen resilienter gegenüber Marktschwankungen macht.

Europäische oder asiatische Lieferanten: Wann lohnt sich welche Quelle?

Die Entscheidung zwischen Sourcing in Europa und Asien ist eine der fundamentalsten Weichenstellungen im Einkauf. Lange Zeit wurde sie primär über den Preis entschieden, wobei asiatische Produzenten klare Vorteile boten. Doch die globalen Lieferkettenkrisen der letzten Jahre sowie neue regulatorische Anforderungen haben das Spielfeld verändert. Heute ist es eine komplexe Risiko-Nutzen-Abwägung. Die Abhängigkeit des deutschen Marktes von globalen Quellen ist enorm: Laut aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes gehören China, Bangladesch und die Türkei zu den wichtigsten Textilimportländern für Deutschland.

Asiatisches Sourcing bleibt attraktiv für große Volumina und Standardqualitäten, wo der Preisdruck am höchsten ist. Die Produktionskapazitäten sind unübertroffen. Die Risiken liegen jedoch in langen Vorlaufzeiten, hohen Transportkosten und -emissionen sowie in der komplexen Nachverfolgung von Sozial- und Umweltstandards, insbesondere im Hinblick auf das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Eine lückenlose Dokumentation über mehrere Subunternehmer hinweg ist eine große Herausforderung.

Europäisches Sourcing (inkl. Türkei) punktet hingegen mit entscheidenden Vorteilen im neuen Marktumfeld. Kürzere Lieferwege bedeuten mehr Flexibilität, schnellere Reaktionszeiten auf Trends und geringere Transportemissionen. Dies ist ideal für kleinere Chargen, hochwertige Nischenprodukte oder Kapselkollektionen. Der entscheidende Vorteil liegt jedoch in der regulatorischen Sicherheit: Das „Made in EU“-Label vereinfacht die Nachweispflicht im Rahmen des LkSG erheblich und eliminiert Zollgebühren innerhalb des Binnenmarktes. Lieferanten aus Portugal, Italien oder Polen unterliegen denselben rechtlichen Rahmenbedingungen, was die Compliance-Prüfung enorm erleichtert.

Ein hybrider Ansatz, der die Stärken beider Regionen nutzt – Volumen aus Asien, Innovation und Flexibilität aus Europa – entwickelt sich zunehmend zum Standard für resiliente Lieferketten in der deutschen Modebranche.

Der Materialfehler, der 30% der Produktionschargen unverkäuflich macht

Einer der größten, aber oft unterschätzten Kostenfaktoren im Textileinkauf ist nicht der Meterpreis, sondern das Risiko eines qualitativen Totalausfalls. Ein systematischer Materialfehler – wie falsche Farbechtheit, unerwartetes Einlaufen oder starkes Pilling – kann eine ganze Produktionscharge unverkäuflich machen. Der Titel dieses Abschnitts ist keine Übertreibung; in der Praxis sind Verluste von 30 % und mehr durch einen einzigen, zu spät entdeckten Mangel keine Seltenheit. Der finanzielle Schaden übersteigt die potenziellen Einsparungen durch einen günstigeren Einkauf um ein Vielfaches. Insbesondere der kritische deutsche Verbraucher, geschult durch Institutionen wie die Stiftung Warentest, verzeiht solche Mängel nicht.

Einem Erfahrungsbericht des deutschen Herstellers VAUDE zufolge sind typische Reklamationsgründe, die auf Materialfehler zurückzuführen sind, das Abfärben bei dunklem Denim, Pilling bei Strickwaren schon nach wenigen Wäschen und das Einlaufen von Baumwollshirts über die Toleranzgrenze hinaus. Diese Probleme entstehen oft durch eine unzureichende präventive Qualitätssicherung im Beschaffungsprozess. Sich allein auf die Zusicherungen des Lieferanten zu verlassen, ist fahrlässig.

Ein professionelles Risikomanagement setzt daher auf proaktive und vertraglich festgelegte Qualitätssicherungsmaßnahmen. Anstatt auf Fehler zu reagieren, verhindern Sie deren Entstehung. Dazu gehört die Definition klarer technischer Spezifikationen im Kaufvertrag. Fordern Sie einen Prüfbericht von einem DAkkS-akkreditierten Labor an, bevor die Ware verschifft wird. Definieren Sie vertraglich AQL-Standards (Acceptable Quality Limit), die festlegen, wie viele fehlerhafte Teile in einer Stichprobe toleriert werden. Lassen Sie sich unbedingt ein Produktionsmuster (PPS) zur Freigabe vorlegen, bevor die Massenfertigung startet. Für die Prüfung der Haltbarkeit sind Tests wie die Martindale-Scheuerfestigkeit nach DIN EN ISO 12945-2 oder die Überprüfung der Farbechtheit gemäß deutschen DIN-Normen unerlässlich.

Letztendlich ist das teuerste Material jenes, das Sie am Ende nicht verkaufen können. Eine rigorose, standardisierte Qualitätssicherung ist daher kein Kostenfaktor, sondern der wirksamste Schutz für Ihre Marge.

Wann sind Materialeinkäufe in der Textilbranche am günstigsten?

Neben der strategischen Auswahl von Lieferanten und Materialien ist das richtige Timing ein oft unterschätzter Hebel zur Kostenoptimierung. Die Preise für textile Rohstoffe und Stoffe unterliegen sowohl saisonalen Zyklen als auch ereignisgesteuerten Schwankungen. Ein strategischer Einkäufer agiert antizyklisch und nutzt diese Fenster, um die Materialkosten aktiv zu senken, ohne Kompromisse bei der Qualität einzugehen.

Professioneller Modeeinkäufer bei der Stoffauswahl auf einer deutschen Fachmesse

Ein entscheidender Zeitpunkt für günstige Einkäufe ist die Phase nach den großen europäischen Stoffmessen wie der Munich Fabric Start oder der Première Vision in Paris. Etwa zwei bis drei Wochen nach den Hauptorderphasen sind viele Lieferanten bereit, Restbestände oder Überproduktionen, sogenannte „Stocklots“, zu deutlich reduzierten Preisen anzubieten. Dies erfordert Flexibilität im Designprozess, kann aber Einsparungen von 30-50 % ermöglichen und ist ideal für kurzfristige Kapselkollektionen.

Darüber hinaus gibt es klare saisonale Preisschwankungen bei Naturfasern, die sich an den Erntezyklen orientieren. Ein datengestützter Einkaufsplan berücksichtigt diese Muster, um den optimalen Kaufzeitpunkt zu bestimmen.

Saisonale Preisschwankungen bei Textilmaterialien
Material Günstigster Einkaufszeitpunkt Potenzielle Ersparnis
Wolle Später Frühling 15-20%
Baumwolle Nach Ernte (Oktober-November) 10-15%
Synthetik Bei niedrigen Ölpreisen 5-10%

Durch eine Kombination aus der Nutzung von Stocklots nach Messen und dem antizyklischen Einkauf von Rohstoffen können Sie Ihre Materialkosten signifikant senken und so die höheren Ausgaben für zertifizierte Nachhaltigkeit oder europäisches Sourcing teilweise kompensieren.

Wie wählen Sie Textilfasern nach Ihren persönlichen Öko-Prioritäten?

Der Begriff „nachhaltig“ ist im Textilbereich nicht absolut, sondern relativ. Eine Faser, die in einem Bereich (z.B. Wasserverbrauch) exzellent abschneidet, kann in einem anderen (z.B. Recyclingfähigkeit) Schwächen aufweisen. Professionelle Einkäufer müssen daher lernen, Nachhaltigkeit anhand von Prioritäten zu bewerten, die zur eigenen Markenphilosophie und zur Erwartungshaltung der Zielkunden passen. Es geht nicht darum, die eine „perfekte“ Faser zu finden, sondern die „richtige“ Faser für den jeweiligen Zweck und die jeweilige Markenbotschaft auszuwählen.

Zuerst müssen Sie Ihre primäre Öko-Priorität definieren. Ist es die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks? Die Minimierung des Wasserverbrauchs? Die Sicherstellung der biologischen Abbaubarkeit? Oder die Förderung der Kreislaufwirtschaft durch Recycling? Eine Marke, die sich auf Langlebigkeit und Robustheit spezialisiert, hat andere Materialanforderungen als eine Fast-Fashion-Alternative, die auf biologische Abbaubarkeit setzt. Diese Priorisierung ist der erste Filter in Ihrem Entscheidungsprozess.

Diese strategische Entscheidung ist auch eine Reaktion auf die Wahrnehmung der Konsumenten. Eine YouGov-Studie zur Nachhaltigkeit in der Mode zeigt, dass für 48 % der deutschen Verbraucher der hohe Preis das größte Hindernis für den Kauf nachhaltiger Kleidung darstellt. Eine klare Kommunikation, warum ein bestimmtes (vielleicht teureres) Material gewählt wurde und welchen spezifischen ökologischen Vorteil es bietet, kann diese Preisbarriere überwinden. Siegel wie der Grüne Knopf oder GOTS helfen dabei, diese Vorteile glaubwürdig zu kommunizieren, aber die grundlegende Faserwahl bleibt Ihre strategische Entscheidung.

Anstatt einem vagen Nachhaltigkeitsideal hinterherzulaufen, definieren Sie, was Nachhaltigkeit für Ihre Marke bedeutet, und wählen Sie gezielt jene Materialien aus, die diese Definition am besten erfüllen.

Was bedeutet die erweiterte Produktverantwortung im deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz?

Für Modeunternehmen in Deutschland rückt eine neue regulatorische Realität in den Fokus: die erweiterte Produktverantwortung (Extended Producer Responsibility, EPR). Dieses Prinzip, verankert im Kreislaufwirtschaftsgesetz, verschiebt die Verantwortung für ein Produkt vom Verbraucher zurück zum Hersteller – über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Konkret bedeutet das: Unternehmen werden künftig finanziell für die Sammlung, Sortierung und das Recycling ihrer in Verkehr gebrachten Textilien zur Kasse gebeten. Dies ist keine ferne Zukunftsmusik, sondern eine bevorstehende rechtliche und finanzielle Belastung.

Das Umweltbundesamt hat bereits Modelle geprüft und favorisiert das „herstellergetragene Modell“. Ab 2025 müssen Hersteller in Deutschland die Kosten für die Verwertung ihrer Textilien mittragen. Dies wird die Kalkulation jeder Kollektion fundamental verändern. Materialien, die schwer zu recyceln sind (z.B. komplexe Mischgewebe oder Stoffe mit Elasthan-Anteil), werden durch diese Regelung indirekt „bestraft“ und teurer, da ihre Entsorgungskosten höher sind. Langlebige, sortenreine und leicht recycelbare Materialien werden hingegen im Vorteil sein.

Eine weitere Verschärfung kommt durch die EU-Ökodesignverordnung. Die Branchenexpertin Nicole Kösegi weist auf eine drastische Änderung hin:

Ab dem 19. Juli 2026 gilt ein grundsätzliches Vernichtungsverbot für unverkaufte Kleidung, Bekleidungszubehör und Schuhe gemäß der EU-Ökodesignverordnung.

– Nicole Kösegi, Expertin für Abfallwirtschaft und Textilrecycling

Diese Regelung zwingt Unternehmen, Überproduktion radikal zu vermeiden und Geschäftsmodelle für die Zweitverwertung zu entwickeln. Die Materialentscheidung im Einkauf wird damit direkt mit der End-of-Life-Strategie des Produkts verknüpft. Die Frage lautet nicht mehr nur „Was kostet der Stoff?“, sondern „Was kostet mich dieser Stoff am Ende seines Lebenszyklus?“.

Ihre Materialauswahl heute bestimmt Ihre Entsorgungskosten und rechtlichen Risiken von morgen. Die Integration von Recyclingfähigkeit als hartes Kriterium in die Bewertungsmatrix ist daher keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit.

Das Wichtigste in Kürze

  • Systematisieren Sie Ihre Materialauswahl mit einer gewichteten Bewertungsmatrix, um Subjektivität zu reduzieren.
  • Berücksichtigen Sie deutsche und EU-spezifische Gesetze (LkSG, EPR, Vernichtungsverbot) als harte Kriterien in Ihrem Einkaufsprozess.
  • Nutzen Sie antizyklisches Einkaufen und die Beschaffung von Restbeständen nach Messen, um Kosten strategisch zu senken.

Welche Textilfasern sind wirklich nachhaltig im Lebenszyklusvergleich?

Nachdem wir die strategischen und rechtlichen Rahmenbedingungen beleuchtet haben, kehren wir zur Kernfrage zurück: Welches Material ist nun die beste Wahl? Ein echter Lebenszyklusvergleich (Life Cycle Assessment, LCA) zeigt, dass es keine einfachen Antworten gibt. Jede Faser hat ihre Stärken und Schwächen, die je nach Priorität unterschiedlich ins Gewicht fallen. Die Aufgabe des Einkäufers ist es, diese Kompromisse zu kennen und eine fundierte Entscheidung zu treffen, anstatt auf Greenwashing-Mythen hereinzufallen.

Die Beratungsfirma Kearney ermittelte in einer Studie, dass der Preisaufschlag für als nachhaltig gelabelte Artikel oft bei 75-85 % liegt, obwohl die wahren Mehrkosten in der Produktion nur etwa 10 % betragen. Diese Lücke zeigt, wie sehr der Begriff „Nachhaltigkeit“ auch als Marketinginstrument dient. Ein objektiver Vergleich der Fakten ist daher unerlässlich. Betrachten wir drei populäre Faseroptionen im direkten Vergleich, basierend auf Daten des deutschen Umweltministeriums.

Die folgende Tabelle fasst die Performance verschiedener Fasern in Schlüsselbereichen des Lebenszyklus zusammen, wie sie in einer Analyse des Bundesumweltministeriums dargestellt wird.

Lebenszyklusvergleich verschiedener Textilfasern
Fasertyp Wasserverbrauch CO2-Fußabdruck Recyclingfähigkeit
Bio-Baumwolle Hoch Mittel Gut
Recyceltes PET Niedrig Niedrig Eingeschränkt
Lyocell/Tencel Mittel Niedrig Sehr gut

Diese Übersicht macht deutlich: Recyceltes Polyester (PET) ist beim Wasserverbrauch und CO2-Ausstoß überlegen, aber seine Recyclingfähigkeit ist begrenzt (Downcycling) und es trägt zum Mikroplastikproblem bei. Bio-Baumwolle ist gut recycelbar und frei von Pestiziden, verbraucht aber weiterhin viel Wasser. Lyocell/Tencel™, eine aus Holz gewonnene Zellulosefaser, bietet einen exzellenten Kompromiss mit niedrigem CO2-Fußabdruck und sehr guter Recycling- und Kompostierbarkeit, hat aber einen mittleren Wasserverbrauch im geschlossenen Kreislauf.

Beginnen Sie noch heute mit der Entwicklung Ihrer eigenen Bewertungsmatrix, um Ihre Materialentscheidungen zukunftssicher zu machen und sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im anspruchsvollen deutschen Markt zu sichern.

Häufig gestellte Fragen zur Auswahl nachhaltiger Textilien

Was garantiert das GOTS-Siegel?

Der Global Organic Textile Standard (GOTS) steht für eine ökologisch und fair hergestellte Textilproduktion. Er deckt die gesamte textile Kette ab und stellt strenge Anforderungen an Umweltkriterien (z.B. Verbot von giftigen Schwermetallen und Formaldehyd) und Sozialkriterien (z.B. Einhaltung der Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO).

Wofür steht der Grüne Knopf?

Der Grüne Knopf ist ein staatliches deutsches Textilsiegel, das anspruchsvolle soziale und ökologische Standards für Textilien kennzeichnet. Er funktioniert als „Übersiegel“: Ein Produkt muss nicht nur 26 soziale und ökologische Kriterien erfüllen, sondern das Unternehmen als Ganzes wird ebenfalls auf seine menschenrechtliche und ökologische Verantwortung geprüft. Es zertifiziert also nicht nur das Produkt, sondern auch die Marke dahinter.

Was bedeutet Oeko-Tex Made in Green?

Made in Green by Oeko-Tex ist ein nachverfolgbares Produktlabel für alle Arten von Textilien, die in umweltfreundlichen Betrieben und an sicheren und sozialverträglichen Arbeitsplätzen hergestellt wurden. Der entscheidende Vorteil ist die Transparenz: Jedes mit diesem Label ausgezeichnete Produkt kann anhand einer eindeutigen Produkt-ID oder eines QR-Codes zurückverfolgt werden, was dem Verbraucher Einblick in die Lieferkette gibt.

Geschrieben von Stefan Hoffmann, Stefan Hoffmann ist Textilingingenieur und Nachhaltigkeitsexperte mit 18 Jahren Erfahrung in der deutschen und europäischen Textilindustrie. Er ist spezialisiert auf nachhaltige Materialbeschaffung, Produktionsprozesse und digitale Rückverfolgbarkeitssysteme für Textilunternehmen.